Eine wahre Weihnachtsgeschichte
Es war kalt an jenem Abend vor einigen Tagen in Frankfurt. Nach meinem letzten Termin schlenderte ich dick eingepackt und tief in Gedanken versunken - bei meinen drei Einzel-Coachings des Tages - durch mein Lieblingsviertel.
Für mich ist es entscheidend, meine Arbeit als Coach nicht nur als Job zu sehen, sondern mich der jeweiligen Aufgabe und meinen „Teilnehmern“ wirklich hinzugeben und mich „rein zu fühlen“ in die jeweilige Situation und vor allem in die Persönlichkeit/en, um die es geht. Nur dadurch kann ein Coach - auch im Business Bereich – eine wirkliche Unterstützung für den Einzelnen sein. Dadurch nimmt man das im Coaching Erlebte mit – bei mir ist dies zumindest so – und kann es nicht am Ende eines Coachings einfach in die Ecke stellen und gehen.
Meine Gedanken kreisten also um die drei Führungskräfte mit welchen ich mich an diesem Tag auseinandersetzen durfte und ich war guter Dinge, dass sie ihre weiteren Schritte bezogen auf die jeweiligen Themen gut oder sogar sehr gut meistern würden. Ich hatte eine sehr gute Verbindung und daher Zugang zu den Dreien und so durchströmte mich ein Gefühl der Zufriedenheit. Die Weihnachtsdekorationen und –lichter in den Häusern, Menschen, die mit Einkaufstüten und –päckchen durch die Gassen von Frankfurt eilten sowie der hell erleuchtete Mond genau über dem Opernturm gaben ihr übriges hinzu und so genoss ich den Spaziergang durch die Kälte und verspürte ein wenig Vorweihnachtsstimmung, die ich sehr gerne mag.
Durch die Fenster von einigen Restaurants war zu sehen, dass Weihnachtsfeiern stattfinden – ein Ritual auf das sich viele Mitarbeiter jedes Jahr freuen und das Unternehmen und Teams auf eine schöne Art und Weise zusammenwachsen lassen kann. Dies zu beobachten empfand ich sehr schön, dennoch stieg die Kälte mehr und mehr in mir hoch und so beschloss ich, noch das Lokal meines besten Freundes anzusteuern, mich aufzuwärmen, ein wenig zu quatschen und den Tag positiv ausklingen zu lassen.
Dort angekommen sah ich als erstes das Schild „Geschlossene Gesellschaft“ an der Eingangstür – also auch eine Weihnachtsfeier. Ich dachte: „sehr schön, aber als bester Freund des Chefs darf ich bestimmt trotzdem kurz rein um „Guten Abend“ zu sagen“ und bahnte mir den Weg durch die Gesellschaft.
Der Platz am Eingang zur Küche war zwar nicht sehr gemütlich, dennoch es war warm und ich wollte ohnehin nur kurz bleiben, nachdem mein Freund hinter der Bar auch voll eingespannt war und somit keine Zeit zum plaudern hatte. Ich blieb auf ein Getränk und wollte gerade wieder zurück in die Kälte, als die „Weihnachtsansprache“ durch den Chef des anwesenden Teams begann. Somit war der Weg nach draußen versperrt und ich hegte die Hoffnung, dass die Ansprache nicht all zu lange dauern würde – zumal diese Weihnachtsfeier wohl schon am frühen Abend begonnen hatte.
Also verharrte ich weiter im Türrahmen zur Küche von wo aus ich den Großteil der Mitarbeiter die der Ansprache lauschten, überblicken konnte und auch den Redner direkt in meinem Blickfeld hatte. Mein Freund gesellte sich zu mir und wir unterhielten uns im Flüsterton - der Ansprache wollte ich gar nicht folgen - dennoch konnte ich es zum Teil gar nicht verhindern.
Zudem ertappte ich mich dabei, wie ich automatisch die Reaktionen der Mitarbeiter beobachtete und versuchte zu erfühlen, wie sehr sie mit ihrem Vorgesetzten verbunden sind. Die Unterhaltung mit meinem Freund war aufgrund Szenerie nur bedingt möglich und so habe auch ich vom Redner erfahren, dass dieser sehr viel Stress hatte in diesem Jahr, unendlich viele Reisen absolvieren musste und dass „Der Neue“ im Team, der ganz hinten an der Bar steht, dadurch zu erkennen ist, dass er ein „Gestrüpp“ anstatt Haare auf dem Kopf hat. Das Gelächter des ganzen Teams fand vor allem der Redner amüsant und ich dachte, das war wirklich eine „gelungene Willkommens-Geste“ an den neuen Mitarbeiter – wirklich unglaublich!
Dass dieser Vorgesetzte den Großteil der Weihnachtsansprache dazu genutzt hat, sich selbst in eloquenter und von sich überzeugter Art und Weise darzustellen und einen (neuen) Mitarbeiter dafür benutzt, Gelächter auf seiner Seite zu haben spricht für sich. Daran konnten auch die warmen Worte zum Abschluss über Team und tolle Arbeit nichts mehr ändern. Naja dachte ich mir, das ist nicht meine Baustelle und vielleicht ist er ja doch anders, als ich es mir im ersten Eindruck gedacht habe. Ich hoffte für das Team, dass er vor allem den letzten Teil seiner Ansprache ernst meinte und dass dies nicht nur warme Worte waren (die man auf einer Weihnachtsfeier als Chef halt so sagt).
Nach fünf Minuten war der Spuk vorbei und ich habe mit meinem Freund verabredet in eineinhalb Stunden nochmals vorbei zu kommen, da zu dieser Zeit das Ende der Feier anberaumt wurde und wir dann unseren „Freitag-Abend-Tratsch“ unter Freunden nachholen wollten.
Gesagt, getan, nach einer Portion „Penne Arrabiata“ beim Italiener wieder vor dem Lokal meines Freundes angekommen, traf ich um die Ecke vom Eingang auf der weihnachtlich geschmückten Terrasse einen Bekannten und wir haben uns kurz darüber unterhalten, wie gut die Stimmung bei der Weihnachtsfeier wohl sein würde, denn durch die Fenster war zu sehen, dass die meisten wohl noch da waren.
Ich beobachtete zudem den feinen, leichten Regen in den Lichtern der Straßenbeleuchtung, es war nach wie vor kalt und nun wurde es zudem auch noch nass. Es war also wirklich ungemütlich draußen und so freute ich mich auf einen Absacker mit meinem Freund.
Dazu kam es vorerst allerdings nicht, denn plötzlich hörte ich wie zwei Personen aus dem Lokal kamen und begannen, sich zu unterhalten. Wobei, es war eher ein einseitiges „anschreien“. „Diese Stimme kenne ich doch“ schoss es mir durch den Kopf und in der Tat, es war die Führungskraft, die vorhin die Weihnachtsrede gehalten hatte.
Die zweite Person war seine Assistentin, die den Event organisiert hatte. Beim bezahlen der Rechnung hatte sich herausgestellt dass das Budget um € 200,-- überzogen wurde (bei 40 Personen mit Essen). In dieser Firma ist es wohl geregelt, dass ein Betrag pro Mitarbeiter für die Weihnachtsfeier zur Verfügung gestellt wird und dass einen darüber liegenden Betrag die Führungskraft selbst begleichen muss. Nachdem diese Firma eine ziemlich große und bekannte Firma ist und der Vorgesetzte kein Teamleiter sondern mindestens ein Bereichsleiter ist, dürfte dies eigentlich nicht das große Problem sein. Für diese Führungskraft allerdings schon.
Er hat seine Assistentin ganze 15 Minuten in der Kälte auf das Übelste in voller Lautstärke beschimpft (näher möchte ich das nicht wiedergeben), von ihr verlangt, die € 200,-- selbst zu bezahlen, stapfte dann in das Lokal um die restliche Rechnung zu begleichen, hat vor den noch anwesenden Mitarbeitern auch noch das Team des Lokals angeraunzt, selbstverständlich keinen Cent Trinkgeld gegeben und ist dann wutentbrannt verschwunden... Dabei hat der Vorweihnachtsabend so schön begonnen, sinnierte ich.
Wie ging es weiter? Sie können es sich vermutlich denken oder erahnen. Hier das Kurzprotokoll dazu:
Die Assistentin war in Tränen aufgelöst
Die restlichen Mitarbeiter haben sich von ihr das „Gespräch“ vor der Tür erläutern lassen
Das ganze Team hat über den Vorgesetzten (auch übel) geschimpft
Die Feier ging weiter (vermutlich jetzt erst so richtig los)
Die Mitarbeiter haben Trinkgeld gesammelt
und wie am nächsten Tag hörte
bis in die frühen Morgenstunden auf eigene Rechnung gefeiert, diskutiert (und sicher Meinungen manifestiert)
Das ist nicht sehr gut gelaufen würde ich sagen. Vor allem sind die Nachwirkungen auf diese Geschichte eine Katastrophe.
Die schönen und auf Glanzpapier gedruckten Werte über Unternehmenskultur und Führung die es in diesem Unternehmen sicherlich gibt, werden für diese Mitarbeiter (zumindest vorerst) eher Ausdruck für Unglaubwürdigkeit sein.
Die Identifikation mit dem Unternehmen wird bei diesen Mitarbeitern durch diese „Weihnachtsfeier“ nicht unbedingt gestiegen sein, um es vorsichtig auszudrücken.
Sämtliche Meetings und Mitarbeitergespräche, die diese Führungskraft in den nächsten Monaten durchführen wird, sind jetzt schon zum Scheitern verurteilt.
Die Motivation der Mitarbeiter sich an Change-Prozessen – die es aktuell beinahe in allen Unternehmen in dieser Größenordnung gibt – aktiv zu beteiligen, wird eher gering ausfallen, vermutlich werden bei vielen (dieses Teams) eher Misstrauen und Vorsicht als Leitgedanken im Vordergrund stehen.
An diesem Beispiel sieht man, wie eine einzige Führungskraft in wenigen Minuten eine vermutlich mühsam aufgebaute Unternehmenskultur zerstören kann.
Dabei wäre es, wie Sie sich vermutlich ebenso denken, ganz einfach gewesen, in dieser Situation genau das Gegenteil zu erreichen. Die Reaktion dieser Führungskraft ist vollkommen indiskutabel, darüber brauchen wir glaube ich nicht zu sprechen.
Selbst wenn die Assistentin einen Fehler gemacht hat, der Schaden war überschaubar. Er hätte an diesem Abend einfach darüber hinweggehen können oder kommunizieren können, die Differenz aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen (als Bereichsleiter eines Konzerns ist dies vermutlich möglich). Die Sympathien wären ihm sicher gewesen.
Natürlich hätte er seine Assistentin am Tag danach zum Gespräch bitten können/sollen um mit Ihr zu besprechen wie ein solcher Fehler in Zukunft zu vermeiden ist, etc.. Alles wäre besser gewesen, als das was passiert ist.
Der eigentliche Schaden beträgt nicht € 200,-- und diesen hat auch nicht die Assistentin verursacht. Der wirkliche Schaden beträgt das zigfache davon und der Verursacher ist eindeutig jener, der in der Weihnachtsansprache über Team und Zusammenarbeit gesprochen hat. Zumindest kurz:-)
Text und Inhalt: Edwin Prelog © 2016